Natürlich steht es jedem frei, seine eigene Briefklasse aus dem Nichts neu aufzubauen. Nützlich ist dafür allerdings, dass man sich zunächst einmal mit LaTeX-Grundlagen beschäftigt. Auch um einige TeX-Grundlagen wird man nicht herum kommen. Nützlich ist auf jeden Fall, wenn man sich mal vorhandene Briefklassen anschaut und ggf. auch im Quelltext nachforscht,
wie die das so machen. Wenn der Quelltext dokumentiert ist (bei scrlttr2 findet man den dokumentierten Quelltext in den KOMA-Script-Quellen über mehrere Dateien verteilt, wobei wesentliche Teile für scrlttr2 in scrknpap.dtx enthalten sind), kann das sehr, sehr nützlich sein. Vor dem Quelltextstudium steht aber noch das Studium der Anleitungen.
Du solltest auf jeden Fall nicht davon ausgehen, dass Du der erste bist, der ein bestimmtest Problem hat. Das ist nach mehr als 20 Jahren TeX, rund 20 Jahren LaTeX, 16 Jahren LaTeX2e sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Problem bereits in existierenden Klassen oder Paketen gelöst wurde oder so kompliziert ist, dass es Abhandlungen darüber gibt, warum der Aufwand für die Lösung in keiner Relation zum Nutzen steht.
Briefklassen gibt es inzwischen min. ein halbes Dutzend brauchbarer und eine ganze Menge unbrauchbare, die deshalb kaum jemand kennt und noch weniger verwendet werden. Aber auch die eigentlich unbrauchbaren wie letter.cls sind noch nützlich, wenn es darum geht, herauszufinden, wie grundlegende Dinge gelöst werden können. Gerade für Anfänger sind die einfach gestrickten Klassen als Ausgangspunkt für eigenes Werken recht nützlich, um nicht ganz von Null anfangen zu müssen. Schneller zum Ziel kommt man allerdings, wenn man tatsächlich die Flexibilität der KOMA-Script-Klassen, in dem Fall von scrlttr2, nutzt. Ob man das dann über eine lco-Datei oder eine Wrapper-Klasse macht, spielt keine große Rolle.
BTW: Vermutlich gibt es sogar ein paar wenige Leute, die hier selten aber hin und wieder in Forum auftauchen, denen ich geholfen habe, ihre Briefpapier-Probleme mit Hilfe einer lco-Datei für scrlttr2 zu lösen. Beispiele dafür gibt es auch auf den KOMA-Script-Seiten (siehe Logo links). Ausführliche Erklärungen und Herleitungen von Lösungen finden sich auch im Anhang des KOMA-Script-Buchs.
Eine gute Briefklasse ist nicht in wenigen Tagen erstellt. Eine lco-Datei für scrlttr ist hingegen in wenigen Minuten bis wenigen Stunden geschaffen.
Zum Abschluss sei noch auf ein paar Briefklassen abseits von KOMA-Script hingewiesen, die IMHO aber alle weniger flexibel als scrlttr2 sind:
- dinbrief (Wissen aus dessen Anleitung ist auch in die Entwicklung von scrlttr2 eingeflossen)
- g-brief (ähnelt in machen Dingen dem alten scrlettr in anderen akletter und ist mir zu unflexibel)
- akletter (eine Schwester des scrlttr2-Vorgängers scrlettr)
- beletter (eine minimale Anpassung von letter an belgische Anforderungen)
- chletter (noch ein Ableger von letter, dieses Mal für die Schweiz mit Französischer Anleitung)
- fribrief (gleich zwei Briefklassen für Deutsch, die schon sehr alt und sehr unbekannt sind)
- frletter (ein Ableger von beletter für Frankreich)
- knuthletter (keine Klasse, sondern plainTeX-Makros für Briefe)
- lettre (noch eine Französische Briefklasse in Ableitung von letter.cls)
- mpdinbrief (AFAIK ist diese Entwicklung inzwischen mit dinbrief verschmolzen)
Ich vermute, dass scrlttr2 die am häufigsten verwendete KOMA-Script-Klasse noch weit vor scrbook ist. Mir selbst war das lange nicht klar, weil ich selbst nur sehr selten Briefe schreibe - und dann eher von Hand. Aber ich habe von vielen Anwendern erfahren, dass sie täglich Briefe aber nur selten andere Dokumente schreiben. Support-Anfragen aus anderen Ländern bekomme ich hauptsächlich zu scrlttr2, was inzwischen zu diversen Erweiterungen und beispielsweise zu offiziellen lco-Dateien für die Schweiz, Frankreich, Japan und Amerika geführt hat. Dazu kommen unzählige nicht offizielle lco-Dateien, von denen es min. die Finnische Version auch auf CTAN geschafft hat.