Johannes_B hat geschrieben:Selbst Paketautoren müssen die Anleitungen ihrer eigenen Pakete lesen.
Stimmt. Teilweise sogar immer wieder dieselben Stellen, weshalb eine Version meiner Anleitung mal am Rand mit mehreren Dutzend Fähnchen in vier verschiedenen Farben versehen war. Die auf die nächste Version der Anleitung zu übertragen war mir dann zu aufwändig, so dass ich noch einige Zeit immer wieder zur
veralteten Fassung gegriffen habe.
Fähnchen? Ja, genau, ich arbeite noch immer mit Papier – nicht ausschließlich, aber intensiv.
Man sollte übrigens nicht davon ausgehen, dass Paketanleitungen und LaTeX-Einführungen auch zwangsläufig erklären, was typografisch sinnvoll ist. Das kommt vor (beispielsweise bei [d]booktabs[/d] bzw. [d]booktabs-de[/d]). Es ist aber nicht selbstverständlich. Wer also wissen will, was typografisch sinnvoll ist, sollte sich mit typografischer Literatur eindecken. Ich erwarte ja auch von der Anleitung zu Excel keine Erklärung, was unter der Standardabweichung zu verstehen ist und wie man statistische Extrema zu bewerten hat.
Und ja, zu einigen Paketen gibt es in der Tat auch Anleitungen auf Deutsch. Die sind nicht in jedem Fall absolut aktuell, aber für einen Überblick über die Funktion des jeweiligen Pakets durchaus geeignet. Eine halbwegs aktuelle, deutschsprachige LaTeX-Einführung können diese Anleitungen aber natürlich nicht ersetzen – auch nicht die erwähnte KOMA-Script-Anleitung, die übrigens immer wieder dafür gescholten wird, dass sie zu weitschweifig sei und zu sehr erkläre, was man tun und lassen soll, statt sich darauf zu beschränken, wie man das, was man machen will, machen kann.
Und mal ganz am Rande erwähnt: Als ich LaTeX gelernt habe, gab es dazu gerade mal ein Buch auf Deutsch, das didaktisch nicht gerade der Bringer war und stilistisch und typografisch fragwürdige Dinge verbreitet hat. Außerdem waren die drei Bände + TeXbook + Metafont für mich unerschwinglich. Also musste Band I + gebrauchtes TeXbook + gebrauchtes Metafont-Buch reichen. Wozu man Metafont gebraucht hat? Damals hat man noch Zeichnungen als Font realisiert.
Am meisten habe ich damals durch ausprobieren gelernt. Mal eben schnell fragen, wie man etwas gut macht, war auch nicht. Stattdessen saß ich mehrere Nachmittage und Abende in der Uni-Bibliothek und habe mir Notizen aus Typografiebücher heraus geschrieben. Danach habe ich dann probiert diese Dinge umzusetzen. Dazu habe ich im schwer verständlichen TeXbook gelesen und Quellcode von fremden Style-Files studiert. Das war hart, aufwändig und hat sich extrem gelohnt. Trotzdem finde ich heute noch manchmal Code von mir, der aus jener Zeit stammt und bei dem ich die Augen verdrehe.
Heute steht dem Anwender fast alles (jedenfalls die sinnvollen Dinge) in Form fertiger Pakete mit brauchbaren Anleitungen zur Verfügung. Lesen und Ausprobieren sollte man natürlich noch immer. Aber das Lesen erstreckt sich nicht mehr auf Quellcode von LaTeX oder Klassen und Paketen. Und selbst von Grund auf neu erschaffen muss man eigentlich nicht mehr. Für das tiefe Verständnis war das damals zwar nützlich, dem schnellen Erfolg war es aber sehr hinderlich.
Wer heute LaTeX lernt ist sich gar nicht bewusst, in welch einem Paradies erlebt. Vor zwanzig Jahren hat man noch einen Anschiss kassiert, wenn man sich über irgend eine nicht vorhandene oder unzureichende Anleitung beschwert hat, und wurde umgehend dazu rekrutiert, die Mängel selbst zu beseitigen. Heute darf man als Paketautor nicht einmal mehr das Wort "Anschiss" in den Mund nehmen, ohne geteert und gefedert zu werden, und kassiert selbst einen solchen, wenn man auf eine der vorhandenen (und großteils wirklich guten) Anleitungen verweist.